Offener Brief zum Artikel „Vom Siegener Techno lernen: Willer Watz ist genauso Kultur wie Apollo“
Sehr geehrte Frau El-Hachimi-Schreiber!
Es gibt Experten in Ihrem Haus, die mit Statistiken belegen, dass der Kulturteil der SZ nicht – ich korrigiere: fast nicht – gelesen wird. Es gibt jedoch Momente, in denen ich mich genötigt sehe, Ihrer Berichterstattung auch bei noch so kleiner Leserschaft zu widersprechen. Ein solcher Moment ist jetzt und Anlass gibt Ihr Beitrag „Vom Siegener Techno lernen. Willer Watz ist genauso Kultur wie Apollo“.
Fakt ist, dass ich in Vorbereitung des Stadtfests 2016 Kontakt zu den Betreibern des „Meyer“ aufgenommen habe, mit dem Angebot, ein Festival für junge Leute in das Stadtfest zu integrieren. Die Ansprechpartner waren naheliegend, da sie ihr Publikum kennen und in der Szene bestens vernetzt sind. Herausgekommen ist dabei das Willer Watz Festival, das seither fester Bestandteil des Stadtfests ist. Die Firma Glücksritter fungiert als Veranstalter und engagiert gegen Honorar DJs. Der von Ihnen ausgemachte Erfinder des Festivals, Herr Hein, ist künstlerischer Leiter und wird dafür vom Veranstalter bezahlt.
Das Konzept geht auf, weil die Stadt keine Miete für den Schlossplatz erhebt, der Veranstalter keine Pacht für Gastronomiestände bezahlt und Organisationskosten von der Stadt übernommen werden. Einzige Auflage unsererseits: Der Eintritt muss frei sein. Das Willer Watz Festival ist also ein hervorragendes Beispiel, wie die Kommune die freie Szene unterstützt.
Fakt ist weiterhin, dass die Stadt Siegen die freie Szene seit Jahren sowohl institutionell als auch projektbezogen fördert und den Ansatz hierfür in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. Die Antragstellung ist denkbar einfach. Es genügt die Beschreibung des Konzepts und der Nachweis einer Selbstbeteiligung, die auch in Eigenleistung erbracht werden kann. Hilfe und Beratung wird von KulturSiegen jederzeit gewährt. Förderbeispiele sind das Feldfunkfestival auf dem Gelände „Schön und gut“, Fischbacherberg, Musikreihen, wie Beautiful Noise, die im Vortex veranstaltet werden, Projekte von Style Fiasko und vieles andere mehr. Institutionelle Förderung erhalten das VEB, das WUP, das Junge Theater und andere mehr. Alles nachzulesen in den öffentlichen Vorlagen des Kulturausschusses.
Die auch im jüngsten Artikel beschworenen „bürokratischen Hürden“ sind nicht existent. Anruf genügt, um in die Förderung einzusteigen. Gesetzliche Hürden bestehen immer dann, wenn es um Sicherheitsauflagen bei Veranstaltungen geht. Auch hier steht die Stadtverwaltung jedoch beratend zur Seite.
Falsch ist Ihre Darstellung, Clubs würden bei dem anstehenden Gutachten zur darstellenden Kunst nicht berücksichtigt. Woher nehmen Sie diese Information, die keine ist, sondern eine freie Erfindung.
Besonders ärgerlich und auch schädlich ist der auch in Ihrem aktuellen Artikel gemachte Versuch, die freie Szene gegen die sogenannte Hochkultur auszuspielen. Weder das Apollo-Theater noch das Bruchwerk-Theater, das Museum für Gegenwartskunst oder der Kunstverein sind öffentliche Einrichtungen. Sie befinden sich in freier Trägerschaft, was dank Spenden, Sponsoring, Mitgliedsbeiträgen und enormem Engagement der Akteure ermöglicht wird. Alle genannten zeichnen sich durch innovative Konzepte aus, die in die Stadtgesellschaft hineinwirken. Ein gegeneinander Arbeiten gibt es nicht. Im Gegenteil: Allen, ob nun freie Szene oder Institutionen, ist bewusst, dass nur durch ein Miteinander die Relevanz der Kultur gesichert und gestärkt werden kann. Schädlich ist insofern, aus welchem pseudo-sozialrevolutionären Impetus heraus auch immer, einen Keil zwischen die Partner treiben zu wollen.
Gut ist sicherlich, dass die Szene sich zu Wort meldet und ihre Forderungen formuliert. Dabei muss niemand liebedienerisch und heuchlerisch um Geld betteln. Vielmehr müssen die Akteure der freien Szene mit Politik und Verwaltung aushandeln, was zu welchem Zeitpunkt möglich gemacht werden kann. Nicht sachgerechte Artikel, wie auch der zuletzt von Ihnen verfasste, fördern diesen Dialog nicht, sondern wirken eher kontraproduktiv.
Ich verfasse dieses Schreiben als offenen Brief, damit auch andere Redaktionen und Verantwortliche in Politik und Verwaltung Kenntnis von meinem oben begründeten Widerspruch erhalten. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Sie in Ihrem eigenen Blatt Raum für eine Wiedergabe fänden.
Mit freundlichen Grüßen
i. A.
Astrid Schneider
Universitätsstadt Siegen
KulturSiegen
